die
idee ist schon hübsch. die pasinger fabrik, ein multikulti-kulturzentrum in der
vorstadt, verwandelt sich im sommer regelmässig in „münchens kleinstes
opernhaus“. in der wagenhalle (kleiner als ein handballfeld) spielen sie dann
zu sprizz und weissbier grosse oper, dieses jahr 36 mal „rusalka“ von antonin
dvorak. andreas pascal heinzmann, der musikalische leiter, schrieb die partitur
um für ein zehnköpfiges orchesterchen. da geht einiges flöten, zum beispiel die
für diese oper nicht unentscheidende harfe (wird durch streicher-pizzicato ersetzt).
dafür werden instrumental-soli viel plastischer als im grossen orchestergraben.
und dann: die stimmen! keine spur mehr von kleinstem opernhaus, sondern eine
von a bis z wuchtige besetzung. die japanische sopranistin ikumu mizushima gibt
der wassernixe rusalka, die aus liebe zu einem prinzen auf ihr element verzichtet
und dann an den intrigen der menschen scheitert, sowohl stimmlich als auch
darstellerisch eine grossartige tiefe. die kälte des mondes, den die
inszenierung von julia dippel gross ins zentrum der kleinen bühne rückt,
erfasst diese wasserfrau zunehmend und – weil wir so nahe dran sitzen –
sichtbar. der prinz stirbt in ihren armen und beinahe auch in unseren. der
zauber von dvoraks überaus vielschichtiger märchenmusik berührt gerade auch in
dieser neuen, reduzierten dimension. münchens kleinstes opernhaus, allerliebst.
Freitag, 31. Juli 2015
Dienstag, 28. Juli 2015
MÜNCHEN: DON CARLO
im nachthemd sitzt der spanische könig auf der bettkante, unruhig, fassungslos,
allein. er beklagt, dass seine frau ihn nicht liebt, nie geliebt hat, weil sie
schon vor ihrer politisch motivierten vernunftehe seinem sohn carlo zugeneigt
war. er beklagt, er jammert, steht auf, legt sich wieder hin, wälzt sich
verzweifelt auf dem bett. zwischendurch packt er die prächtige purpurrote
königsrobe, wohl in der hoffnung, dieses äusserliche zeichen seiner macht möge
ihm halt geben in seinem privaten unglück, und lässt sie wieder fallen. rené
pape singt diesen philipp II. hinreissend und spielt berührend: "ella giammai
m'amò." weil diese intimen momente, die die menschen hinter den königlichen und
kirchlichen macht- und drohkulissen zeigen, so präzis gearbeitet sind, entfaltet
jürgen roses inszenierung von verdis "don carlo" an der bayerischen staatsoper
immer noch eine enorme kraft, obwohl seit der première 15 jahre vergangen und
längst andere sänger im einsatz sind. auch die bühne erweist sich als zeitlos:
ein dunkler, sich nach hinten arg verengender raum wird zum kerker für alle
menschlichen regungen, ein raum zum ersticken. einen ähnlich intensiven eindruck
wie rené pape hinterliess in unserer vorstellung auch der italienische bariton
simone piazzola als posa, der mitfühlende freund und vermittler. die übrigen
stimmen (alfred kim als don carlo, anja harteros als elisabetta, anna smirnova
als eboli) sind für sich alle hochkarätig, wollten aber unter der leitung von
asher fisch kein rundes ganzes ergeben. was man bei einer aufführung im rahmen
der opernfestspiele und entsprechenden preisen doch eigentlich erwarten
dürfte.
Sonntag, 26. Juli 2015
MÜNCHEN: TOT ZIENS JOHAN
jetzt geht er also zurück nach holland, johan simons, während fünf jahren
intendant und zuvor bereits regisseur an den münchner kammerspielen. tot ziens
johan, steht über dem bühnenportal, leb wohl. an seinem letzten abend spielen
die stars seines ensembles noch einmal seinen "hiob". es ist die 80. vorstellung
seit der première im april 2008. und weil sie ein aussergewöhnliches ensemble
sind, erreichen sie auch in dieser 80. vorstellung eine spannung und eine
emotionalität und eine poesie, als wär's die première. es ist auch ihr letzter
abend und sie bezeugen damit ganz trefflich, was simons in seinem
abschiedsinterview mit der "süddeutschen zeitung" zur rolle des deutschen
stadttheaters und seiner zukunft gesagt hat: "das theater hat eine ungeheure
kraft, weil es alle disziplinen in sich vereinen kann. damit steht es mitten in
der welt. und es ist live, das ist in diesen digitalen zeiten eine nicht zu
unterschätzende qualität." das publikum bedankt sich für diese ungeheure kraft
und die vielen magischen momente mit einer standing ovation. die simons-truppe,
am schluss vollständig auf der bühne versammelt, applaudiert zurück. tot
ziens.
Mittwoch, 8. Juli 2015
FRANKFURT: DON GIOVANNI, VOM ENDE HER
don giovanni ist müde geworden. er
geht langsam, leicht gebückt, setzt sich immer wieder hin und braucht gegen
ende einen stock. und durchaus synchron bröckelt auch das barocke palais, wo er
lebt. die frühere pracht lässt sich noch erahnen, so wie die feurigen blicke
die einstige leidenschaft des grossen verführers immer wieder durchschimmern
lassen. mit seinem wunderbar beweglichen, hellen bariton gelingt dem jungen
daniel schmutzhard das sowohl stimmlich wie darstellerisch eindrückliche
porträt eines alternden mannes: dieser don giovanni erobert nicht mehr, sondern
– wie alfred döblin das formuliert hat – er lacht über seine natur. er geistert
gleichsam durch rückblenden. christof loy arbeitet in seiner inszenierung an
der oper frankfurt mit raffinierten kontrasten: je fahler der titelheld unter
seiner blondgrauen mähne wird, desto mehr farbe und leben gewinnen die anderen
figuren. don giovannis opfer, die frauen und indirekt auch die männer, werden
zu einer quirligen schicksalsgemeinschaft und emanzipieren sich von takt zu
takt mehr. eine schicksalsgemeinschaft sind sie bei unserem besuch auch aus
einem anderen grund: karsten januschke dirigiert sich dermassen lustvoll durch
den höllischen melodienreigen, dass ihm die koordination zwischen
orchestergraben und bühne immer wieder entgleitet. trotz vielen kraft- und
gefühlvollen stimmen also keine tonspur für die ewigkeit. umso nachhaltiger
wirken einzelne bilder, einzelne szenen: ein erotisches tableau, vom ende her
gedacht.
Dienstag, 7. Juli 2015
FRANKFURT: DER ROSENKAVALIER
wer
an den „rosenkavalier“ von hugo von hofmannsthal und richard strauss denkt, hat
immer gleich die bilder im kopf parat: putzige rokoko-interieurs, puder,
perücken, parfümierte parvenus. claus guth (regie) und christian schmidt (bühne)
wählen an der oper frankfurt einen anderen ansatz für das spiel um werden und
vergehen der liebe: das café sperl in der gumpendorfer strasse in wien, wo das
dunkle holz und die düstergelben wände noch heute schwer das ausgehende 19.jahrhundert
atmen, inspirierte die beiden zu einem beklemmenden sanatorium, melancholie
total. hier ist die feldmarschallin patientin, unheilbar, ihre mésalliance mit
dem 17jährigen oktavian scheint in weiter ferne, sie gönnt ihm sein leben, sie
hilft ihm zu seiner sophie, denn ihre zukunft heisst alter, nicht jugend: „man
ist dazu da, dass man’s ertragt. und in dem ‚wie‘ da liegt der ganze
unterschied.“ amanda majeski ist für die rolle der marschallin eigentlich zu
jung – und doch eine traumbesetzung: keine verbitterte frau eben, sondern eine
weise und offene, die das leben liebt und strauss‘ hinreissender melodienfülle
mit lodernder, leichter stimme alles, wirklich alles abgewinnt, das
komödiantische und das tiefschürfende. auch die anderen hauptrollen sind toll
besetzt (paula murrihy, christiane karg, bjarni thor kristinsson), doch ihr
gehört dieser abend: die ganze oper wird – musikalisch und szenisch absolut
konsequent – zu einem einzigen rückzug, einem abschied mit grösse und stil. am
ende, wenn sich die zwei jungen liebenden definitiv gefunden haben, wendet sich die marschallin dezent ab, legt sich aufs klinikbett und lässt los. die vergänglichkeit überholt die
zeit. ein kleines mädchen findet sie zum schlussakkord, kalt.
Samstag, 4. Juli 2015
ZÜRICH: GIANNA UND DIE RÜSTIGEN RENTNER
die
dame gehört nicht mehr zu den jüngsten. die dame sollte bei 31 grad am schatten
eigentlich keinen hochleistungssport mehr betreiben. die dame ist 61. sie trägt
ein weisses t-shirt mit der aufschrift „sex, roll, rock, drugs“. sie trägt
dieses t-shirt zu einer edlen olivfarbenen trainingshose mit weissen streifen
und einer jacke aus rotem leder oder eher kunstleder. das würde bei jeder
anderen frau in diesem alter peinlich wirken. nicht bei gianna nannini. sie ist
so was von fit und so was von gut drauf an diesem traumhaften abend beim „live
at sunset“ im zürcher dolder. ciao a tutti, sagt sie, wie eh und je, und legt
dann los: i maschi innamorati, io senza te, latin lover, oh marinaio, profumo,
america, bello e impossibile. es sind die songs, mit denen frau nannini das
publikum durch die vergangenen vier (!)
jahrzehnte begleitet hat – und dies mit einer beachtlichen erfolgsquote:
viele rüstige rentner summen und pfeifen und klatschen und stampfen mit, was
das zeug hält, und retten ihre wilde vergangenheit in eine immerhin noch
halbwilde gegenwart. älter werden mit gianna, nicht das schlechteste programm.
power und poesie, nicht der schlechteste mix. immer wieder zwinkert sie
jemandem zu, scherzhaft, herzlich, wie unter alten freunden. alles stimmt an
diesem abend, und deshalb schreckt sie auch vor den grössten schnulzen nicht
zurück: „volare“, mit dem domenico modugno 1958 am festival von sanremo abgeräumt
hat, italien ist überall, volare con tutti, nel blu dipinto di blu.
Freitag, 3. Juli 2015
GISWIL: HUISSOSSÄ UND MAGISCHE MOMENTE
am
anfang waren alle skeptisch. die, die’s organisiert hatten. und die, die gar
nicht anders können. doch das volkskulturfest „obwald“ auf der gsang-lichtung
bei giswil wurde schneller als erwartet ein voller erfolg und gehört
mittlerweile zu den sommerlichen musts. auf dem parkplatz autonummern aus
luzern, solothurn, zürich, basel und deutschland - und im publikum sieht man
jetzt, beim zehn-jahr-jubiläum, sogar die eine und den anderen obwaldner, die
anfänglich gar nicht anders konnten als skeptisch-sein. gut so. weiter so. immer
noch braucht’s für die speisekarte übersetzungshilfe: säimerwurscht und
ruichbrot, essiggmiäs, huissossä (das ist kein einheimischer jodel, sondern die
haussauce). lokales auf dem teller, globales auf der bühne: tamara riebli in
obwaldner tracht und nguyen thi trung in vietnamesischer seide machen gemeinsam
den anfang und dann, ja, sind sie alle wieder da zu diesem jubiläum, verteilt
auf zwei wochenenden, die vietnamesen mit ihren saiten- und bambusinstrumenten,
die familia bermudez aus andalusien, für deren flamenco-performance die bühne
verstärkt werden muss, chimi wangmo aus bhutan, die appenzeller, die
toggenburger, die greyerzer. sie wärmen die herzen. und wenn dann (welch klingende namen) omar bandinu, bachisio pira, marco serra und arcangelo pittudu bei vollmond zu ihren
obertongesängen ansetzen, die von tierstimmen, von wind und wellen inspiriert
sind, dann rührt das auch mal zu tränen. die vier sarden sind bekannt als
tenores di bitti, ihre melodien gehören zu den immateriellen kulturgütern der
unesco und sind hier im nächtlichen wald einfach einer von vielen magischen
momenten.
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