bei der party in der gestylten weissen villa hebt einer kurz den weissen
teppich. darunter: blut, noch schön frisch. leichen pflastern den weg von
lucrezia borgia, tochter eines papstes, blutschänderin, ehebrecherin,
giftmischerin, berüchtigt, wenn auch historisch nicht einwandfrei verbürgt. in
seiner inszenierung von donizettis oper am theater st. gallen verlegt tobias
kratzer die handlung von der renaissance ins heute, mit viel attraktivem,
geschniegeltem jungvolk, was den italo-mafia-intrigantenstadel nicht weniger
nachvollziehbar macht, im gegenteil. der kontrast zwischen donizettis süffigem
belcanto und den wachsenden leichenbergen nimmt schon beinahe parodistische
dimensionen an, zumal pietro rizzo mit dem sinfonieorchester st. gallen
gelegentlich ziemlich dick aufträgt. doch die regie nimmt die figuren durchaus
ernst, allen voran jene im zentrum: katia pellegrino als lucrezia, die sich in
den eigenen unehelichen sohnemann gennaro – anicio zorzi giustiniani, so heisst
er und so singt er – in den sohnemann also verliebt und ihn versehentlich
auch vergiftet, ist nicht einfach das rachsüchtige machtweib, sondern eine von
sehnsucht, angst und verzweiflung getriebene frau. ein eindrückliches rollenporträt,
auch stimmlich, mit einem von intimen momenten hin zu dramatischen ausbrüchen
reich differenzierenden sopran. schlicht genial ihr auftritt als todesengel im kleinen
schwarzen, wenn sie im letzten akt ihren bereits am boden röchelnden giftopfern
mit stechendem blick mitteilt, dass ihre fünf särge schon bereitstehen vor der
villa. wie heisst es jeweils so schön: wenn sie krimis mögen, mögen sie auch
diese oper.
Sonntag, 15. März 2015
Samstag, 7. März 2015
MÜNCHEN: MEG STUART, HUNTER
eine
frau sitzt an einem tisch, schneidet konzentriert bilder aus ihrer kindheit und
jugend aus, klebt sie neu zusammen. die frau ist meg stuart, die 50jährige
tänzerin und choreografin aus den usa, die heute in brüssel und berlin arbeitet
(damaged goods). es ist ihr erster solo-abend, und die bilder-schnipselei legt
die spur: während eineinhalb stunden tanzt sich meg stuart in der spielhalle
der münchner kammerspiele durch ihre biografie. der titel des abends („hunter“)
macht deutlich, dass kein sentimentales zurückdenken angesagt ist, sondern ein
mitunter aggressives suchen nach stationen und ereignissen, die sie geprägt,
die in ihrem kopf und in ihrem nach wie vor höchst athletischen körper spuren
hinterlassen haben. eine psychische und physische erinnerungsarbeit, an der sie
das publikum teilhaben lässt. zu einer sehr suggestiven tonspur aus geräusch-,
gesprächs- und musikfetzen entstehen expressive bilder und bewegungen, berührend,
beklemmend, erschöpfend – das bild einer vielschichtigen choreografin, neu
zusammengeklebt. und bevor sie, kreisend und schreiend, zu einem höchst ironischen yoko-ono-finale
ausholt, setzt sie sich zum publikum und erzählt ein paar geschichten aus ihrem
leben, in vertraulichem ton: wie sie tänzerin wurde, weil sie sich wie eine lieblings-trickfilmfigur
zum verschwinden bringen wollte. oder wie sie sich jetzt, wo ihre grosse kollegin
trisha brown an demenz leidet, immer wieder fragt, was wir wohl träumen werden,
wenn wir uns nicht mehr erinnern.
Freitag, 6. März 2015
MÜNCHEN: SING MAL WAS AUF RUSSISCH
keine
party und kein abend mit freunden, wo genija rykova diesen satz nicht hören
muss: „sing mal was auf russisch!“ rykova ist schauspielerin am residenztheater
in münchen und hat sibirische wurzeln. jetzt erfüllt sie diesen wunsch gleich
abendfüllend, tritt im marstall mit timoschenko-frisur und im aufreizend
knappen glitterschwarzen auf, nicht als genija rykova, sondern als irina
klischevetskaja. und singt sich, nomen est omen, ironisch den ganzen klischees
entlang, singt all die volkslieder und schlager von bären und beeren und
birken am baikalsee, von aufgeschlitzten müttern und dem mann mit der axt. mit samtener
stimme kostet sie all die zisch- und schlürflaute ihrer muttersprache lustvoll
aus und die melancholie fliesst ihr literweise über die lippen. ein ganz und
gar unpolitischer abend also. begleitet wird genija/irina von einer formidablen
vierköpfigen jazzformation (die sie als ihre vier sibirischen brüder
vorstellt), was die russische folklore einerseits ganz hervorragend erträgt und
dem konzert anderseits, in raumgreifenden instrumentalsoli etwa, auch eine
zusätzliche, reiche dimension verleiht. zwischendurch werden russische gewürzgurken
durch die dichten publikumsreihen gereicht und wodka ausgeschenkt, nicht aus
der flasche, sondern gleich aus dem 20-liter-kanister. man könnte von russland
träumen. wenn man denn ausgerechnet jetzt von russland träumen wollte.
Donnerstag, 5. März 2015
OUARZAZATE: LAMM-EINTOPF
„la
caravane des épices“ – was für ein märchenhafter name für einen laden in einer
unscheinbaren seitenstrasse in einem unscheinbaren aussenquartier von
ouarzazate. aber „la caravane des épices“ ist eben nicht einfach eine unscheinbare
gewürz-boutique, sondern eine akkurat eingerichtete apotheke, die neben
sandelholzölen und arganölen und anderen köstlichen essenzen auch erlesene gewürze
verkauft. in diesem kleinen paradies haben wir im herbst unser ras el hanout
erstanden, den duft marokkos: eine mischung aus über 25 gewürzen, darunter
koriander, kurkuma, paprika, muskat, anis, chili, kardamom, lavendel, rosenblätter.
und mit diesem gedicht von gewürz bereiten wir seither unseren lamm-eintopf zu,
kein original marokkanischer, sondern ein marokkanisch inspirierter. wer´s auch
probieren will, braucht dazu: 800 gramm lammschulter, 1 grosse zwiebel, ½ rande,
½ sellerie, 6 kartoffeln, 2 rüebli, ½ quitte, 15 dörraprikosen, rotwein,
bratensauce, ras el hanout, geröstete mandeln, kümel, sesam, frischer koriander. – rande
und quitte mit etwas rotwein in einem separaten topf knackig kochen und später
unters hauptgericht mischen. fleisch und zwiebel würfeln, würzen und anbraten,
auf kleinem feuer garen, später gemüse und früchte beigeben, am schluss mandeln,
sesam und koriander. und schon macht die caravane des épices auch in
mitteleuropa halt.
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