Donnerstag, 15. Januar 2015

ZÜRICH: ROBERTO ZUCCO

alles dreht sich um ihn, doch er ist nicht da. schwarz verschleierte klageweiber heulen an den gräbern seiner opfer, frauen auf unappetitlichen betten flüstern ihm zu, polizeibeamte beschwören ihn. doch er ist nicht da. regisseurin karin henkel verweigert dem publikum im zürcher schauspielhaus eine ganze halbe stunde lang die titelfigur, den von bernard-marie koltès mythisch überhöhten serienmörder roberto zucco. nicht diesen jugendlichen mörder ohne motiv rückt sie ins zentrum, sondern - und dafür klebt sie den stücktext geschickt völlig neu zusammen - die gesellschaft, die ihn hervorgebracht und umgeben hat: hysterisch, zynisch, gewalttätig, kalt. er taucht dann doch noch auf: jirka zett als zucco, schwarzer anzug, blonde mähne, sympathisch, intelligent und unsicher. ist so einer von grund auf böse? verrückt? ganz unverkrampft macht diese inszenierung aus der rabenschwarzen ikone zucco, wie sie koltès vorgeschwebt hat, einen menschen im normalformat, einen unscheinbaren spiegel der gesellschaft. rätsel umgeben ihn, der tod umgibt ihn permanent, und der raum, wo sich alles zuträgt, könnte mit seinen farbigen tapetenfetzen und blutverschmierten sanitärinstallationen die haupthalle eines heruntergekommenen irrenhauses sein. "das unglück braucht keine zeit. es kommt, wann es will." dunkle poesie, nahe am alltag.

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