riesige
schwarze röhren schweben über der riesigen schwarzen bühne. sie sehen aus wie
überdimensionierte kanonenrohre. und wenn sie sich auf den boden senken,
erinnern sie an kräftige baumstämme oder gefängnisgitter. das bühnenbild, das
florian lösche für rossinis „guillaume tell“ an der bayerischen staatsoper
geschaffen hat, ist ein eigenständiges, abstraktes kunstwerk. hier erzählt
schauspielregisseur antú romero nunes in seiner ersten operninszenierung tells
geschichte: kein bergidyll, keine folklore, kein pathos. die erwartungen des
publikums irritiert er auch, indem er ihm schon mal die bekannte ouverture
vorenthält – und sie erst als soundtrack zum apfelschuss nachliefert, wenn
alpenmonster und kindersoldaten des tell-buben hirn durchzucken und ihn
nachhaltig traumatisieren. michael volle als tell (strickpulli, brille, rote
haare) ist hier nicht der gefeierte freiheitsheld, sondern ein trotziger klein-
und wutbürger, der die welt in gut und böse teilt, der verzweiflung meist näher
als der überlegenheit; ein faszinierendes rollenporträt und eine grosse stimme,
kräftig und warm. daneben yosep kang mit strahlendem tenor und krassimira
stoyanova mit dunklem sopran sehr berührend als obwaldnerisch-habsburgisches
liebespaar arnold/mathilde – und auch alle anderen figuren, bis in die letzte
nebenrolle, sind top-besetzt. mit diesem tollen ensemble schafft dirigent dan
ettinger aus rossinis ernsthaftester oper ein musikalisches stimmungsbild, das
sich mit der intelligenten inszenierung aufs eindrücklichste verbindet.
überwältigender applaus für diesen frischen blick auf die anfänge der schweiz.
Samstag, 31. Januar 2015
Dienstag, 27. Januar 2015
MÜNCHEN: DIANA DI LAMMERMOOR
was sollen wir bei kennedys zuhause?
der kennedy-clan, sagte regisseurin barbara wysocka vorab, habe sie inspiriert
für die umsetzung von donizettis „lucia di lammermoor“ (1835) an der
bayerischen staatsoper, der kennedy-clan und fürs bühnenbild der bildband „the
ruins of detroit“. uiuiui, denkt man sich, ziemlich hergeholt und ziemlich
kopfig. doch dann erzählt frau wysocka in einem bröckelnden ballsaal (detroit)
die geschichte der familie ashton zwischen machtgier, glamour und fluch
(kennedy), in den spiessig-bunten kostümen der sechziger zwar, aber ohne
unnötige gags oder us-firlefanz: sie erzählt die geschichte konsequent, spannend, brutal. mit diana damrau steht ihr als lucia eine traumbesetzung
zur verfügung, blond wie hollywood und tough wie hillary; eine starke frau, die
nicht ihre grosse liebe heiraten darf, sondern einen mann verordnet bekommt,
der ins clan-konzept passt, woran sie zerbricht. die damrau ist nicht einfach
diva, sie ist ein theatertier: sie singt diesen berühmtesten wahnsinn der
opernliteratur teils rücklings auf dem kofferraum eines chevrolet-cabrios,
teils wild mit der pistole fuchtelnd und die pistole wie ein irres gegenüber
beschwörend, sie macht – mit furioser mimik und mörderischen koloraturen - diesen
politkrimi zum psychothriller. dass dirigent kirill petrenko, der sämtliche
schichten der partitur freilegt, lucias wahnsinnsarie nicht wie üblich von
einer querflöte begleiten lässt, sondern – wie donizetti das bereits für die
uraufführung gerne gehabt hätte - von einer die melodie leicht verzerrenden glasharmonika,
eröffnet neue, unwirkliche dimensionen. sphärisch. ein grosser abend.
Donnerstag, 15. Januar 2015
ZÜRICH: ROBERTO ZUCCO
alles dreht sich um ihn, doch er ist nicht da. schwarz verschleierte klageweiber heulen an den gräbern seiner opfer, frauen auf unappetitlichen betten flüstern ihm zu, polizeibeamte beschwören ihn. doch er ist nicht da. regisseurin karin henkel verweigert dem publikum im zürcher schauspielhaus eine ganze halbe stunde lang die titelfigur, den von bernard-marie koltès mythisch überhöhten serienmörder roberto zucco. nicht diesen jugendlichen mörder ohne motiv rückt sie ins zentrum, sondern - und dafür klebt sie den stücktext geschickt völlig neu zusammen - die gesellschaft, die ihn hervorgebracht und umgeben hat: hysterisch, zynisch, gewalttätig, kalt. er taucht dann doch noch auf: jirka zett als zucco, schwarzer anzug, blonde mähne, sympathisch, intelligent und unsicher. ist so einer von grund auf böse? verrückt? ganz unverkrampft macht diese inszenierung aus der rabenschwarzen ikone zucco, wie sie koltès vorgeschwebt hat, einen menschen im normalformat, einen unscheinbaren spiegel der gesellschaft. rätsel umgeben ihn, der tod umgibt ihn permanent, und der raum, wo sich alles zuträgt, könnte mit seinen farbigen tapetenfetzen und blutverschmierten sanitärinstallationen die haupthalle eines heruntergekommenen irrenhauses sein. "das unglück braucht keine zeit. es kommt, wann es will." dunkle poesie, nahe am alltag.
Sonntag, 11. Januar 2015
LUZERN: CANTOS DE SIRENA
das
resultat: „in mir drin hab‘ ich den ganzen kosmos.“ die vorgeschichte: faust
hat genug, er lebt ohne sinn und ziel, unterzieht sich nach einem
lebensverlängernden deal einer verjüngung und geschlechtsumwandlung und spielt
als fausta gott, doch auch das endet in desillusion. what a story! das luzerner
theater leistet sich starregisseur carlus padrissa und die katalanische
kulttruppe la fura dels baus, steckt sie zusammen mit dem eigenen ensemble und
dem luzerner sinfonieorchester in eine kellerhalle im verkehrshaus
(vorgeschmack auf die salle modulable?), wo sie den ganzen disput um ästhetik
und kunst, um zeit und leben in einen gigantischen sinnesrausch verwandeln.
chefdirigent howard arman hat für „cantos de sirena“ arien und duette von
monteverdi bis saint-saëns arrangiert, originell und schräg, und durch neue
kompositionen und unter zuhilfenahme von sehr verkehrshaus-liken
klanginstallationen miteinander verbunden. das lied an den mond aus dvoráks „rusalka“
singt die ukrainische sopranistin stella motina schwimmend und tauchend in einem
illuminierten wasserbecken, in das sie zuvor schwarze tränen geweint hat;
andere highlights der musikgeschichte werden durch wild rotierende
höllenmaschinen angetrieben. der bühnenumbau wird hier zum roten faden, wogegen
der rote faden der runderneuerten faust-story immer wieder verloren geht. hier
kommt die ganz grosse kelle zum einsatz, hier zählt das ultimative spektakel,
wenn auch die opulente phantasie der fura dels baus in dieser kellerhalle etwas
eingeengt wirkt. das finale, wo das ganze ensemble kräftig die letzten
faust-verse in der liszt-vertonung singt, entbehrt also nicht einer wohl durchaus
gewollten und erlösenden selbstironie: „das unzulängliche, hier wird’s ereignis;
das unbeschreibliche, hier ist’s getan.“
Sonntag, 4. Januar 2015
WIEN: VERDACHT
"etwas auffälliges?"
"ja, er wollte opernkarten."
("tatort"-dialog)
es wird schwierig für uns opern-aficionados.
Donnerstag, 1. Januar 2015
HONGKONG: KUNST, FREIHEIT, ZUKUNFT
"kunst ist oft die auseinandersetzung mit einer gänzlich anderen meinung, ohne dass es schon wehtut. sie ist eine übung darin, andere meinungen anzuhören, vielleicht sogar zu akzeptieren und zu erkennen, dass die welt deswegen nicht untergeht." sagt uli sigg, der luzerner ruderer, industrielle, botschafter und kunstsammler im interview mit dem "tages-anzeiger". sigg schenkt 1450 objekte aus seiner sammlung zeitgenössischer chinesischer kunst nach hongkong, als basis für das neue museum m+, das 2018 eröffnet werden soll. und sigg sagt auch, dass mehr freiheit für die kunst eine politische öffnung begünstigen könnte: "die chinesische regierung ist auch bereit, sich mit kritik auseinanderzusetzen, wenn sie von einer seite kommt, der sie kenntnis attestiert."
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