Sonntag, 25. Mai 2014

MÜNCHEN: DIE BEFRISTETEN

ein kind stirbt mit sieben. ob sie darob nicht völlig verzweifle, wird die mutter gefragt. nein, antwortet sie, sie habe ja gewusst, dass das kind nur so alt werde, und ihre ganze zuneigung deshalb auf diese sieben jahre verteilt. das kind hiess "sieben", die anderen personen im szenischen gedankenspiel "die befristeten" heissen "fünfzig", "achtunddreissig" usw. elias canetti ging darin der zeitlosen frage nach, wie der mensch leben würde, wenn er von geburt an wüsste, wie alt er wird. welche ökonomisierung der kräfte das bewirken würde. in nicola hümpels inszenierung in münchen ist die welt eine kahle, graue drehbühne; die menschen springen auf und ab oder halten dagegen, der unrat des lebens dreht sich mit. optisch ein krasser und effektvoller kontrast zum putzigen rokoko-intérieur des cuvilliés-theaters. in wechselnden konstellationen debattieren die figuren mal kurzweilig, mal konfus über die konsequenzen der fixierten lebensjahre für die gestaltung von paarbeziehungen, für emotionen, für verbrechen, für die letzten monate und tage ("meine aura faltet sich richtiggehend zusammen"). detlev glanert hat im auftrag der münchner biennale für neues musiktheater einen spannungs- und farbenreichen soundtrack komponiert, der canettis 60 jahre alten text grundiert, überlagert, rhythmisiert. so entsteht eine aktuelle oper mit differenzierten gedanken über die determiniertheit, mit präziser sprache, aber ganz ohne gesang.

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