Samstag, 10. Mai 2014

LUZERN: JOHANNA!

marine le pen wettert in breitem ostschweizer dialekt. sie wettert gegen die herrschende klasse, die die krise zu verantworten hat, die krise, die krise, die krise. immer lauter, immer aggressiver schreit sie einen text ihres vaters, und selbstverständlich landet die grosse patriotin, immer noch in breitem ostschweizer dialekt, bei jeanne d’arc, mit der natürlich alles ganz anders wäre. ein steiler einstieg, der subito die brücke schlägt von der vergangenheit in die gegenwart und von frankreich zu uns. „johanna!“ heisst der abend am luzerner theater, mit dem sich die junge regisseurin sabine von der heyde der jungen frau aus dem 15.jahrhundert annähert, die für ihre ideale gestorben ist und seither für alle möglichen zwecke vereinnahmt wird. die bühne ist ein steil in den zuschauerraum abfallender hörsaal, in dem vier frauen und ein mädchen die rolle der johanna studieren und sie sich aufteilen. wild mischen sie zitate aus den johanna-stücken von schiller, shaw und anouilh mit aussagen von whistleblower snowden und terrorist breivik. was eine trocken-theoretische textcollage hätte werden können, ist eine durchaus sinnlich-theatralische reflexion über idealismus und seine grenzen und über die frage, wie weit religion als antrieb taugt und sinnvoll ist. mal wird dieser hörsaal zum schlachtfeld, mal ist er folterkammer, mal denkfabrik. nein, eine naive gläubige, die blauäugig zum kampf schreitet, ist diese johanna nicht, sondern eine differenziert denkende, agierende, verletzliche frau. und sie so, multipliziert auf diese vier unterschiedlichen, allesamt hervorragenden schauspielerinnen und das tolle mädchen, aus nächster nähe zu erleben, das ist ein starkes stück.

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