Mittwoch, 20. November 2013

LUZERN/BAYREUTH: FRAU WAGNER UND HERR HITLER

sie war meine nachbarin. luzern, schweizerhausstrasse 5, gute gegend. für mich (3.etage) war es die erste eigene wohnung, für frau wagner (1.etage) die letzte, den estrich teilten wir uns. friedelind wagner war die enkelin von richard wagner. durch eine glückliche fügung sind mir jetzt, viele jahre später, ihre jugenderinnerungen in die hand gekommen: „nacht über bayreuth“, dittrich-verlag. als mädchen und junge frau erlebte sie, wie hitler bei ihren eltern ein und aus ging, ein stammgast bei den festspielen, die vier kinder nannten ihn „onkel wolf“, friedelind besuchte ihn mehrmals auch in berlin. das buch liest sich wie eine reportage - nicht nur aus der villa wahnfried, sondern aus dem innersten zirkel der nazi-hölle. friedelind beobachtete scharf und schrieb mit spitzer feder: „es wollte mir nicht in den kopf, wieso männer und frauen, die sonst völlig normal zu sein schienen, in seiner gegenwart offensichtlich den verstand verloren, puterrot im gesicht wurden, ihre tassen fallen liessen und in hysterische wein- oder lachkrämpfe ausbrachen. oft hoben sie, wenn sie mit ihm sprachen, ihre stimme ganz unbewusst um mindestens eine oktave.“ friedelind sagte sich los von ihrer mutter winifred, einer der glühendsten und unverbesserlichsten hitler-verehrerinnen, und von ihrer familie, sie emigrierte und gilt vielen wagnerianern noch heute als schwarzes schaf des clans. ihr weg war die ebenso mutige wie konsequente emanzipation einer damals 26jährigen: „im festspielhaus hatte der nazismus mit seiner falschen emphase und seiner falschen bewertung der dinge alles so beschmutzt, dass ich den kaum zu unterdrückenden wunsch empfand, das ganze gebäude zu verbrennen.“ friedelind wagner starb 1991. nur einige wenige leute wissen, wo sie ihre letzte ruhe fand. in bayreuth liegt sie nicht.

3 Kommentare:

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  2. Wow... tolle nachbarn hattet ihr da! :)

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  3. ...und damit stellt sich ein mir vorliegender Briefumschlag als echt heraus. Ich habe ihn von einer damaligen Kollegin 1990 erhalten, datiert am 22.05.1990, weil ich an Briefmarken interessiert bin. Kopie gewünscht? Mail an privat@mrauner.de

    mfg
    MR

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