neun bundesräte stehen in einer reihe nebeneinander und halten sich an zwei gigantischen stricknadeln fest. sie stricken an einem riesigen irgendwas mit schweizer kreuz in der mitte. nein, sie stricken eben nicht, denn neun bundesräte haben 18 hände, und auf diese weise lassen sich zwei stricknadeln definitiv nicht zielführend bewegen. das kann keinen richtigen pulli geben und schon gar keine richtige schweiz. dermassen konzis und brillant illustrierte gabi kopp in der "nzz am sonntag" eine kolumne, die weniger statt mehr bundesräte forderte. seit zehn jahren kommentiert die luzerner illustratorin dort den politischen lauf der dinge mit einer schwarz-weissen, 11,5 auf 11,5 zentimeter grossen vignette in schabkartontechnik, mal liebevoll, mal bitterbös - und höchst konsequent und diszipliniert, woche für woche. sie muss es lieben, dieses schwierige land. über 300 dieser illustrationen sind jetzt im betagtenzentrum rosenberg in luzern zu sehen. wie ein langes band ziehen sich die kleinen quadrate durch foyers und korridore: das ergibt ein prächtig kurzweiliges panoptikum schweizerischer befindlichkeiten, diskussionen und absurditäten. noch selten haben schwarz und weiss eine so farbige schweiz ergeben wie auf gabi kopps kartons.
Mittwoch, 29. August 2012
Freitag, 24. August 2012
HAMBURG: 66873 HEBT AB
ich bin die nummer 66873. die
besucherinnen und besucher von antony gormleys horizon field in der grossen deichtorhalle
in hamburg werden durchnummeriert. wie alle anderen (seit ende april und noch
bis mitte september) muss auch 66873 an der garderobe die schuhe deponieren und
sich dann auf die socken machen, hin zum objekt der begierde, das gut sieben
meter über dem boden in der riesigen halle hängt: eine 49 auf 25 meter grosse,
schwarz-spiegelnde, schwebende ebene. auf der einen seite führt eine treppe
hinauf, auf der anderen seite führt eine hinunter. bis zu 100 personen dürfen
gleichzeitig oben sein. und dann? eben, eine 49 auf 25 meter grosse,
schwarz-spiegelnde, schwebende ebene. sonst nichts? sonst nichts. der besucher
ist das kunstwerk, sein spiel mit all diesen spiegelungen und schwingungen – mal
schaut’s aus, als ob er im wasser stünde, mal schaut’s aus, als ob er in den
lüften hinge. antony gormley beschäftigt sich seit jahren mit dem verhältnis
des menschlichen körpers zum raum. auf dem horizon field verführt er den
besucher zu wahrnehmungsexperimenten, zu neuen erfahrungen. völlig losgelöst
liegen, tanzen, plaudern, entspannen, staunen, umarmen, beobachten, beobachten,
beobachten. sich und die anderen. der fliegende teppich wird zum fliegenden
theater. hier, dem himmel ein stück näher, überbrückt 66873 die theaterlose,
die schreckliche zeit.
Mittwoch, 1. August 2012
LÜBECK: WAGNER-REZEPTION, PHASE 1
"ich spiele dies nicht, gnädige frau, ich bin ihr ergebenster diener, aber ich spiele dies nicht! das ist keine musik... glauben sie mir doch... ich habe mir immer eingebildet, ein wenig von musik zu verstehen! dies ist das chaos! dies ist demagogie, blasphemie und wahnwitz! dies ist ein parfümierter qualm, in dem es blitzt! dies ist das ende aller moral in der kunst! ich spiele es nicht!" und mit diesen worten hatte er sich wieder auf den sessel geworfen und, während sein kehlkopf auf und nieder wanderte, unter schlucken und hohlem husten weitere fünfundzwanzig takte hervorgebracht, um dann das klavier zu schliessen und zu rufen: "pfui! nein, herr du mein gott, dies geht zu weit! (...) und das kind, dort sitzt das kind auf seinem stuhle! es ist leise hereingekommen, um musik zu hören! wollen sie seinen geist denn ganz und gar vergiften?" (aus thomas mann, "buddenbrooks" - am tag, als gerda buddenbrook, eine leidenschaftliche verehrerin der neuen musik, ihrem musiklehrer, herrn pfühl, zum ersten mal klavierauszüge aus "tristan und isolde" aufs pult gelegt und ihn gebeten hatte, ihr daraus vorzuspielen)
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