Montag, 30. Januar 2012

MILANO: RAMON VARGAS ALS HOFFMANN

ein musikalisches vollbad! melodien zum ein- und ab- und wegtauchen, eine ganze kurpackung! „les contes d’hoffmann“ von jacques offenbach – das sind die grossen gefühle, das ist grosse oper. der kanadische regisseur robert carsen lässt den dichter e.t.a. hoffmann deshalb nicht im gängigen weinkeller bechern und jammern über seine unerfüllte liebe, sondern gleich in einem opernhaus: auf die bühne der mailänder scala stellt er noch eine bühne, noch einen orchestergraben, noch einen zuschauerraum, noch einen roten samtvorhang, was ein ganzes bouquet von zauberhaften effekten ermöglicht, subtile übergänge zwischen sein und schein und insgesamt eine hochtheatralische und hochmusikalische inszenierung. ramon vargas, der seine karriere vor mehr als zwei jahrzehnten in luzern begann, weiss diesen rahmen aufs trefflichste zu nutzen: er singt diesen hoffmann nicht nur makellos, er tänzelt und wirbelt und kriecht sich buchstäblich hinein in seine phantasiegeschichten, mit vollem körpereinsatz pendelt er – „des cendres de ton coeur réchauffe ton génie“ - zwischen liebesleid und künstlerglück, zwischen erotischen hoffnungen und existentiellen ängsten. diese offensichtliche spiellust erfasst das gesamte hochkarätige star-aufgebot (u.a. rachele gilmore als olympia und ekaterina gubanova als muse) und führt zu einer phänomenalen ensemble-leistung. es sind sternstunden. bereits in der pause meint der kollege: „im nächsten leben werde ich opernsänger.“ das sagt eigentlich alles.

Sonntag, 15. Januar 2012

MÜNCHEN: DIE SPRACHE DER GEWALT

seine frau und seine schwägerin und die mutter seines feindes und ein namenloser und seine tochter und die schwester seines feindes. wer bitte debattiert da im parkdeck einer fähre mit wem genau und warum immer gleich so heftig? „atropa, die rache des friedens“ beginnt in den münchner kammerspielen mit einer überforderung: wer den fall trojas und sein personal nicht vorgängig fein säuberlich repetiert hat, sitzt da und staunt, im besten fall. doch dann beginnt sich tom lanoyes stück von den einigermassen unübersichtlich vernetzten figuren zu lösen und zu einer vielschichtigen text-sinfonie über krieg und frieden, täter und opfer zu verdichten. „nicht anders geht’s: das paradox des friedens ist, dass er erobert werden muss. mit kriegsgewalt.“ agamemnons kriegsrhetorik ist unterlegt mit textbausteinen von george w. bush und donald rumsfeld. und auch klytämnestras zentrale klage ist zeitlos: „wie oft hab ich nicht hören müssen, dass ein krieg von kürzrer dauer wäre als ein frühling.“ viele zweifel, viel leid, viel lärm, viel blut – der krieg kennt nicht nur gut und böse. mit einfachen bildern schafft regisseur stephan kimmig eine ausgesprochen differenzierte sicht auf die handelnden und die nicht handelnden: starke männer, schwache frauen, starke frauen, schwache männer.

Sonntag, 8. Januar 2012

ZÜRICH: VON GIPFELN UND SÜMPFEN

causa wulff, causa zuppiger, causa blocher/hildebrand – und das schauspielhaus zürich liefert, ebenso zeitnah wie zufällig, das absolut-ultimativ-goldrichtige stück dazu. eine komödie natürlich. eine komödie, die im goldenen dreieck politik/wirtschaft/sumpf spielt. oscar wilde schrieb sie vor über 100 jahren, die geschichte von sir chiltren, der den grundstein zu seiner karriere und seinem vermögen legt, indem er einem börsenhai regierungsgeheimnisse unterjubelt und jahre später mit dieser jugendsünde erpresst wird. „der ideale mann“ heisst das politisch-moralische debakel jetzt, nachdem elfriede jelinek die wildsche satire und situationskomik mit ihrem kalauernden sprachwitz in die heutige zeit überführt hat. regisseurin tina lanik lässt die rundum korrupte truppe in einem toilettenvorraum auftreten („wo das kind endlich beim namen genannt und anschliessend mit dem bad ausgeschüttet werden kann“) und setzt nicht nur auf die gepfefferte sprache, sondern zusätzlich auf vollen körpereinsatz: alle verbiegungen und verrenkungen, die machtmissbrauch und insidergeschäfte erfordern, nötigt sie dem ensemble ab und entwickelt daraus eine immer rasanter drehende slapstick-choreographie über den zweifelhaften weg zum karriere-gipfel, ein irrwitziges intrigen-ballett. dass der hauptdarsteller markus scheumann dem österreichischen skandal-und-glamour-minister karl-heinz grasser wie aus dem gesicht geschnitten ist, entspricht durchaus der intention von frau jelinek. in der vorstellung heute trug er allerdings auch unverkennbar die züge von philipp hildebrand. der ideale mann. honni soit qui mal y pense.

Sonntag, 1. Januar 2012

WIEN: EINSICHT, WEITSICHT

"tradition ist bewahrung des feuers und nicht anbetung der asche." - gustav mahler, 1860-1911, als komponist im übergang von der spätromantik zur moderne ein experte in dieser frage.